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Vielleicht hätte er ein knuddeliger Zwerg wie der Renault 4 CV sein müssen oder eine kuriose Blechkiste à la Citroën 2 CV verkörpern sollen, um als automobiler Volksheld verehrt zu werden. So aber ist der vor 70 Jahren präsentierte Peugeot 203 heute fast vergessen. Dabei wollte die Löwenmarke mit diesem in stromlinienförmigen, fließenden Linien gezeichneten Modell den Galliern den Weg weisen aus der Tristesse der Nachkriegsära in die „Trente Glorieuses“, das glorreiche, 30 Jahre währende französische Wirtschaftswunder. Während Renault und Citroën die Franzosen mit primitiven Volksautos auf die Räder brachten, vermittelte der Peugeot 203 bereits Familien in ganz Europa einen Hauch bezahlbaren Hollywood-Glamours. Dazu durften sich die Designer des Modells mit kleinem 1,3-Liter-Vierzylinder vom großen amerikanischen Lincoln Zephyr inspirieren lassen. Ein mutiger und heimlich ausgeführter Coup, denn die Formenfindung für den Typ 203 erfolgte während des Zweiten Weltkriegs, ausgerechnet als die deutschen Besatzer im Peugeot-Werk Sochaux alle wichtigen Werkzeugmaschinen demontierten.

Seine Premierenparty feierte das erste Nachkriegsfahrzeug von Peugeot dann auf dem Pariser Salon 1948 und sogar die amerikanische Presse bejubelte dort den Chrom-Glitter und die opulenten Formen. Preiswerte Extravaganz und eine bei Langstrecken-Rallyes unter Beweis gestellte, legendäre Robustheit, damit machten diese Limousinen, Kombis, Coupés und Cabriolets Peugeot dann auch in Deutschland populär. Tatsächlich bereitete der zwölf Jahre gebaute Peugeot 203 den Boden für den nachfolgenden 403, mit dem die Löwenmarke in einigen Ländern erstmals in einem Atemzug mit Mercedes genannt wurde.

Nicht wenige Journalisten glaubten an einen Zahlendreher bei der Typenbezeichnung, als sie die ersten Presse-Communiqués zum Peugeot 203 im Mittelklasseformat in Händen hielten. Mit 4,35 Metern – der Kombi maß sogar 4,53 Meter – konnten es die Neuen aus Sochaux sogar mit dem Stuttgarter Statussymbol Mercedes 170 S aufnehmen. Auch der im US-Style gestaltete Opel Kapitän war kaum länger als der Gallier, der sich trotz breiten Dollargrinsens im großen Chromgrill als Erbe des zierlichen Vorkriegs-Kleinwagens Peugeot 202 vorstellte.

Unternehmenschef Jean-Pierre Peugeot überraschte aber nicht nur durch die Nomenklatur seines jüngsten „Babys“, er verblüffte die Fachwelt auch mit der Ankündigung einer Mono-Modell-Strategie. Peugeot wolle wirtschaftlich expandieren, in dem sich die Marke auf eine einzige Pkw-Reihe, den Typ 203, spezialisiere, erklärte der Generaldirektor. Henry Ford hatte es mit seinem legendären Model T einst vorgemacht. Und genau deshalb gab es das in den Standorten La Garenne und Sochaux gefertigte Modell 203 ebenfalls mit einer konkurrenzlos großen Karosserievielfalt: Zwölf unterschiedliche Aufbauten wurden zeitweise parallel angeboten, darunter waren neben Limousine, Kombi und sechssitzigen Familiale auch exklusive Coupés und Cabriolets sowie eine Vielzahl von Nutzfahrzeugen. Trotz dieser Diversifizierung gelang es den Peugeot-Konstrukteuren, den früher notwendigen, massiven Kastenrahmen ins Museum zu schicken und durch moderne, selbsttragende Ganzstahlkarosserien zu ersetzen.

Es war eine konstruktive Herausforderung, die auch von unabhängigen Karossiers angenommen wurde. Ob Worblaufen in der Schweiz, die französischen Spezialisten Letourneur & Marchand oder Darl’Mat, sie alle entdeckten die Nische in der Nische mit exquisiten Coupé- und Cabrio-Entwürfen auf Basis des Peugeot 203 für die damals besonders in Paris angesagten Concours d’Elégance, die von Rolls-Royce, Bugatti oder Delahaye dominiert wurden. Hier war der noch bezahlbare Peugeot 203 ein Fremdkörper, aber er verkörperte die Demokratisierung des Luxus' in einer Zeit, als in Frankreich und anderen europäischen Ländern Großunternehmen verstaatlicht wurden.

Dazu passte auch der bescheidene Typencode 203 für die ausgewachsene Reiselimousine, die sich auf schnellen Routes Nationales eigentlich wohler fühlte als im dichten Gewimmel rund um den Arc de Triomphe in Paris. Tatsächlich entsprach das Layout dieses Stromlinien-Tourers der späten 1940er Jahre eher einem Nachfolger für die stattlichen Vorkriegs-Aero-Typen Peugeot 302 oder 402 als dem Erben des kleinen 202, aber die unruhigen politischen Gegebenheiten in der 1946 ausgerufenen Vierten Französischen Republik forderten besonnenes Handeln. Für die Fahrzeugindustrie sollten Pläne umgesetzt werden, nach denen sich jeweils ein Hersteller auf Kleinwagen, ein anderer auf Mittelklassemodelle und ein dritter auf große Limousinen konzentrieren sollte. In diesem Wettlauf um Lizenzen zwischen der gerade verstaatlichten Riege Renault, Citroën und Panhard sowie Simca wollte die Familie Peugeot die Rolle des Jokers übernehmen, denn der 203 passte ja in mehrere Segmente. Am Ende kam es anders und jeder Hersteller konnte sich doch wieder unbekümmert nach Belieben in allen Klassen engagieren. Aber das ist bereits eine Geschichte der Fünften Französischen Republik, in der Peugeot zum vorübergehend größten Automobilkonzern Europas aufstieg. Das Fundament für diesen sensationellen Erfolg legte der Peugeot 203, dessen Wurzeln in den finstersten Zeiten des Weltkriegs liegen.

Damals, im Jahr 1942 im von Deutschland besetzten Frankreich, lancierte Jean-Pierre Peugeot heimlich erste Planungen für ein Nachkriegsmodell, das sowohl den Typ 202 als auch den Mittelklassebestseller 402 ersetzen sollte, um so dem erwarteten staatlichen Dirigismus zu begegnen. Auf den ursprünglich angedachten Frontantrieb wie bei Citroën verzichtete Peugeot zwar aus Kostengründen, dafür legte die Marke die Messlatte im Motorenbau höher. So gelang es Peugeots Mitarbeitern im Geheimen, einen halbkugelförmigen Zylinderkopf für die Großserie zu entwickeln. Kleiner Hubraum, aber große Leistung und hohe Effizienz (die Verbrauchsvorgabe lag bei 6,0 Litern und damit 20 Prozent niedriger als bei Konkurrenten) kennzeichnete diese bisher nur im Rennsport eingesetzte Konstruktion.

Und noch eine Überraschung bot der 1,3-Liter-Vierzylinder (Typ TM) mit beachtlichen 31 kW/42 PS bei 4.500 Touren. Hohe sechsstellige Laufleistungen ohne Triebwerkstausch waren eine Qualitäts-Vorgabe für den Peugeot 203. Zu einer Zeit, in der manche Modelle schon nach 30.000 oder 40.000 Kilometern eine Motorrevision benötigten, glich diese Robustheit einer Sensation, die der Peugeot zudem durch Erfolge auf afrikanischen Rallyes unter Beweis stellte. Wen wundert es bei diesen Genen noch, dass der 203 zum bis dahin meistverkauften Peugeot aller Zeiten mutierte? Auch in Deutschland machte das gallische Einheitsmodell im amerikanischen Chic die Löwenmarke bekannt, zumal sich sogar Prominente aus Politik und Showgeschäft mit dem kleinen Chromkreuzer schmückten. Das plötzliche Ende für den fast 700.000 Mal gebauten 203 brachte erst der von Pininfarina designte Peugeot 403. In der jetzt angesagten Couture aus Ponton-Karosserien wirkte der 203 demodiert.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Peugeot

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