Festival South by Southwest in Texas: Freak Show für die Forschung

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Der Mann trägt Jeans und Turnschuhe und lässt das Polohemd lässig aus der Hose hängen. So locker hat man einen Spitzenmanager von Mercedes selten gesehen. Doch Wilko Stark weiß, wie er sich hier zu benehmen hat. Denn der oberste Strategiechef der Schwaben und Kopf hinter dem Programm CASE steht nicht auf einer Bühne beim Genfer Salon. Sondern er hält eine Keynote über Autonomes Fahren beim Tech-Festival South by Southwest in Austin. Für den gemeinen Entwickler mag das ein Kulturschock sondergleichen sein. Denn statt Powerpoint und Exel-Tabellen geht es hier um auch um Party und die Erweiterung von Horizont und Bewusstsein. Und im Publikum sitzen weniger Wissenschaftler als Nerds. Doch so ungewöhnlich die Bühne auch sein mag, gilt Austin mittlerweile als Gipfeltreffen der geistigen Elite und wer sich weniger über Hubraum oder Fahrdynamik denn über Autonomes Fahren und künstliche Intelligenz austauschen will, kommt an der Konvention nicht vorbei.

Mehr als eine Woche lang tagen und talken in der texanischen Hauptstadt Kreative und Innovative aus allen Branchen und machen das Event, auf dem zum Beispiel vor zehn Jahren Twitter gelauncht wurde, zum wichtigen Impulsgeber für Trends und Technologien. Für die Tec-Industrie, für die Medien- und Musikbranche ist das ein Hochamt. Doch die Autohersteller haben bislang einen großen Bogen um diese ebenso eigenwillige wie einnehmende Mischung aus Kongress und Kirmes, Messe und Massenparty gemacht.

Aber so, wie sie mittlerweile die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas erobert und den Mobile World Congress in Barcelona für sich entdeckt haben, machen sie sich jetzt auch in Austin breit. Vorstandsbosse halten Reden über das große Ganze der Digitalisierung, das autonome Fahren und den Wandel vom Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleister. Es gibt dutzende Podiumsdiskussionen und Vorträge zu technischen, ethischen oder wirtschaftlichen Fragen rund um Autopiloten mit künstlicher Intelligenz und man diskutiert über Ridesharing oder Ridehailing und die Vernetzung der Verkehrsträger. Die Mobilität ändert sich, und mit ihr das Bild von der Welt, wie wir sie kennen, ist Stark überzeugt.

Zum Teil kann man das in Austin während dieser knapp zwei Wochen schon erleben – nicht nur, weil Mercedes sein elektrisches SUV EQ C durch die Straßen surren lässt. Es sind Google-Shuttle unterwegs und Car2Go-Autos, Uber und Lyft bringen die 70.000 Teilnehmer durch die Stadt und wenn man hier gebeamt würde oder eine autonome Drohne nehmen könnte, würde das auch keinen wundern. Doch so zukunftsgläubig sie hier in Austin auch sein mögen, bedienen sie sich auch alter Mittel und Möglichkeiten – und reiten von Konferenz zu Konferenz oder nehmen schräge Gruppenfahrräder für den individuellen Transport.

Mercedes geht es nicht nur um Inspiration und Fortschritt im Dialog mit anderen Wissenschaftlern. Sondern für Marketingchef Jens Thiemer ist das Festival auch die perfekte Bühne für einen modernen Auftritt. „Wir müssen uns neue Plattformen suchen, um neue Kunden anzusprechen“, ist er überzeugt und alarmiert damit die Messeveranstalter rund um den Globus. Nicht umsonst haben die Schwaben zum Beispiel ihren Auftritt bei der Motorshow in Detroit für das nächste Jahr gerade abgesagt.

Dass die Freaks und Forscher bei der South by Southwest vielleicht gar kein Interesse am Auto haben und einen Mercedes nicht von einem Mazda unterscheiden können, stört Thiemer dabei wenig. Denn, auch wenn Mercedes jetzt seit 130 Jahren mehr oder minder gut vom Autoverkauf lebt, wird sich dieses Geschäftsmodell über kurz oder lang von selbst überholen. „Die Zukunft liegt für uns in Mobilitätsdienstleistungen“, ist Thiemer überzeugt. „Und wenn wir verstehen wollen, wie man solche Dienste modern und zeitgemäß an den Mann bringt, müssen wir uns auf neues Terrain begeben und Plattformen wie die South by Southwest nutzen.“ Und dass man dabei den Anzug zu Hause lassen und die miefige Luft der Messehallen vergessen kann, tut dem Reiz des Neuen sicher keinen Abbruch.

So ganz angekommen ist Mercedes in dieser neuen Welt allerdings noch nicht – selbst wenn die Schwaben einen eigenen Themenpark aufgebaut und die bald 100.000 Konferenzgäste ordentlich unterhalten haben. Denn während Stark und Thiemer vor kleinem Publikum sprechen und im Palm Park selten Full House war, standen die Teilnehmer für Elon Musk schon morgens um sieben Schlange – dabei war der Auftritt des Tesla-Chefs erst um die Mittagszeit.

Text: Benjamin Bessinger/SP-X
Fotos: Daimler/SP-X

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