Porsche: 30 Jahre Allrad

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„Es war furchtbar, erinnert sich Walter Röhrl an seine ersten Erfahrungen mit Allradtechnik. „Das Auto wollte geradeaus fahren – du hast den fast nicht um die Kurve bekommen. Ein Satz aus der Urzeit, als Autos lernten, sich auf vier angetriebenen Rädern fortzubewegen. Davon kann in diesem Augenblick allerdings keine Rede sein, denn der ehemalige Rallyegroßmeister fliegt wie von einem unsichtbaren Stahlseil gezogen elegant und ökonomisch durch die Kurven auf dem Eisparcours im finnischen Levi. Aber er war auch schon als Versuchsfahrer ab 1982 dabei, als Porsche an den ersten Allradprototypen arbeitete, die dann mit den Rallye-Dakar-Siegen des 953 und des Supersportwagens 959 zeigten, was mit einer Technik auch bei Sportwagen möglich war, die heute weder auf wüsten Pisten noch auf asphaltierten Rennstrecken wegzudenken ist. Dreißig Jahre ist es her, dass Porsche mit dem ersten 911 Carrera 4, Typ 964, Premiere feierte. Zunächst fremdelten eingefleischte Heckantriebsjünger allerdings mit dieser Ziffer am Heck. Heute werden dagegen über 40 Prozent der 911er-Varianten mit Allradantrieb bestellt und der Turbo ist sogar nur mit 4×4-Kraft erhältlich.

So wie Jürgen Haug, Leiter Entwicklung Fahrdynamik und Performance bei Porsche, die Herausforderungen an die Ingenieure im Lauf dieser drei Jahrzehnte beschreibt, war es ein Wechselbad der Kompromisse zwischen Dynamik, Kraftübertragung, Stabilität und Traktion. Beim ersten Carrera 4 sprach Porsche noch von einem „differenzialschlupfgesteuerten Antrieb. Die Innovation, die sich hinter dem Wortungetüm verbarg, war die Regelung des Schlupfs an den vier Rädern, das durch die ABS-Sensoren erkannt und von hydraulischen Sperren verhindert wurde. Beim Generationswechsel 1994 wurde das komplizierte Geflecht aus Verteilergetriebe und geregelter Lamellenkupplung zu Gunsten der Visco-Kupplung und dem sogenannten Hang-on-Allrad aufgegeben. Sie hatte die Aufgabe, bei Drehzahlunterschieden zwischen der direkt angetriebenen Hinterachse und der Vorderachse einen Teil der Antriebskraft nach vorne zu leiten – Vierradtechnik als Rucksack.

Im Jahr 2002 traf die Bewahrer der reinen Lehre unter den Porsche-Tifosi nach der alltagstauglicheren Allradtechnik und der Einführung des nicht mehr länger luft-, sondern wassergekühlten Boxermotors in den neunziger Jahren jetzt auch noch der Schock des ersten SUV aus Zuffenhausen. Doch die Einführung des variablen Porsche Traction Management (PTM) im Bestseller Cayenne fand zwangsläufig auch ihren Weg in die 911er-Reihe. Die Elektronik steuerte je nach Fahrsituation das Verteilungsverhältnis und konnte damit auch die Längs- und Querdynamik des Fahrzeugs beeinflussen. Vier Jahre später debütierte das modifizierte PTM auch im Turbo: Mit diesem 997 konnte man dann auch den berühmt-berüchtigten Begriff Heckschleuder allmählich zu den Akten legen. Beim Nachfolger kam dann noch die geregelte Hinterachs-Quersperre dazu. Außerdem unterbindet die gebündelte Technologie durch Eingriffe in die Momentverteilung über- wie untersteuern. Um das PTM auszutricksen, müsste man schon sehr grobe Fahrfehler machen. Und natürlich wird das, was vor 30 Jahren mit dem ersten Carrera 4 seinen Anfang nahm auch im ersten vollelektrischen Sportwagen von Porsche, dem Mission E, ab 2019 mit an Bord sein.

Unweit vom nordfinnischen Levi hat Porsche ein 329.000 Quadratmeter großes Areal in einem Moor quasi auf Eis gelegt und bietet dort Kunden die Hohe Schule des gezielten Rutschens – vom Einstieg in den rallyetypischen Drift um die Kurve bis hin zu Schnellfahrten auf Waldwegen für ambitionierte Track Day-Amateure. Kein besserer Ort also, um 30 Jahre Allrad zu feiern, als dort, wo finnische Rallyemeister ihre Kunst lernten und wo der Soundtrack aus knirschendem Schnee, unter den mit kleinen Spikes bewaffneten Rädern sich räusperndem Eis und dem Brummen und Donnern einer Flotte entschlossener Porsches besteht. Anders als bei der planen Oberfläche zugefrorener Seen verlockt das Moor mit seiner hügeligen Topgrafie und den scharfen Kurven geradezu, das PTM auf die erste Probe zu stellen. Aber egal, ob man sich nun den vielen unterschiedlichen Handlingkursen, die in diese Landschaft gefräst wurden, in einem Panamera, einem 911 GTS oder gar im Turbo nähert und unterwegs mehr Gas gibt, als die Vernunft gebietet: Nichts will außer Kontrolle geraten oder zu einer Pirouette ansetzen.

Motorsportler müssen immer schneller sein, auch wenn sich ihnen eine Kurve entgegenstellt. Der Drift als feine Gratwanderung zwischen Kontrollverlust und Bodenhaftung ermöglicht ihnen, diese Verbindung zwischen zwei Geraden so zeitsparend, ökonomisch und dynamisch wie möglich zu passieren. Nachdem sich vorher die Ingenieure alle Mühe bei der Entwicklung des PTM gegeben haben, darf man es bei so einem Drifttraining auf Eis auf Befehl der Instruktoren ausschalten. Und es offenbaren sich schlagartig die Kräfte der Fahrdynamik und wie sich Lastwechsel beim Bremsen auswirken. Aber wie der Humorist Karl Valentin schon festhielt, ist auch diese Kunst zwar schön, macht aber Arbeit, denn auch bei einem Porsche-Allrad sind die Antriebskräfte eher zu Gunsten der Hinterachse verteilt. Man bremst vor dem Slalompylonen oder der Kurve kurz an damit das Heck leicht wird und auszubrechen beginnt, lenkt ein, blickt dahin, wo man hin will und gibt dann wohldosiert Gas, um mit dem Fahrzeug nach der Kurve geradeaus weiterbeschleunigen zu können. Soweit die Theorie, zu deren Umsetzung in die Praxis der Panamera Turbo mit seinem längeren Achsstand, der 911 GTS und der Turbo aber ganz unterschiedliche Rückmeldungen lieferten. Für manche mag Driften auf Eis wie ein sinnbefreiter Spaß wirken, aber das könnte man auch von einigen Wintersportarten sagen. Der tiefere Sinn dieser Eiskapaden in Finnland ist, ein neu geschärftes Verständnis vom Verhalten eines Fahrzeugs im Grenzbereich zu erhalten.

Inmitten der eisig schönen Winterlandschaft der Handlingkurse waren auch Cayennes verteilt, die wie dampfende Arbeitspferde antrabten, um Teilnehmer aus Schneewehen herauszuziehen. Denn nicht jeder Drift will gelingen. Mal bremst man doch zu stark an und dreht sich oder man gibt zu spät oder zu wenig oder zu viel Gas, um elegant die Kurve zu meistern und bewegt sich unweigerlich auf die weiße Wand zu. Rallyemeister beherrschen die Klaviatur von Bremse und Gaspedal. Für alle anderen gilt: Üben, üben, üben bis man tatsächlich kontrolliert ausrutscht.

Text: Alexandra Felts/SP-X
Fotos: Porsche

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