ZF: Auf dem Weg zur „Vision Zero“

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Der Ford F-150 ist nicht unbedingt was, das man hierzulande ein City-Car nennen würde. In den USA ist das „Dickschiff“, denn um ein Solches handelt es sich hier, trotz Klimawandel und ständig steigenden Spritpreise, der unbestrittene Star unter den mächtigsten Pick-Ups. Und das will in einem weiten Land, in dem bei Automobilen nach anderen Maßstäben und Größenordnungen als vor unserer Haustür gemessen wird, schon etwas heißen.

Schon alleine deshalb ist es eine Herausforderung, hinter der mächtigen Motorhaube an einem Lenkrad, das sich nicht gerade durch seine Puppenhaftigkeit auszeichnet, zu zeigen, was man dereinst vor Jahrzehnten in der Fahrschule gelernt hat. Das rangieren nämlich in engsten (Park)-Lücken, ohne dabei dem Lack des fahrbaren Untersatzes auch nur einen einzigen Kratzer zuzufügen. Geschweige denn, eines der fürchterlich eng platzierten „Hütchen“ umzuwerfen.Und so dauert unser erster Versuch schier endlos: Vor, zurück, vor, zurück. Erster Gang, Rückwärtsgang, erster Gang, Rückwärtsgang. Blick in beide Außenspiegel. Immerhin dürfen wir auf die Unterstützung einer Servolenkung vertrauen. Nach irgendwie endlos anmutenden rund 12 – 15 Minuten haben wir den Übungs-Parcours absolviert. Und jetzt kommt Teil zwei unserer „Praxis-Expertise“. Und der macht weitaus mehr Spaß. Das Zauberwort heißt Hinterachslenkung.“

Wir befinden uns auf einem Verkehrssicherheits-Gelände in Pachfurth an der Peripherie von Wien. Dort werden wir Zeuge der technischen Errungenschaften, aber auch der Vorstellungen, der Gedankenwelt und des Zusammenspiels von Top-Ingenieuren und IT-Spezialisten auf dem Weg zu dem was der Automobil-Zulieferer ZF Friedrichshafen „Vision Zero“ nennt: Seine Vision einer individuellen Mobilität ohne Tote, ohne Verletzte, ohne Unfälle. Schöne, neue Welt. Zwar noch (längst) nicht fertig, aber doch im Aufbau begriffen und schon sehr weit vorangeschritten.

Davon können wir uns an diesem Tag nicht nur mit dem mächtigen Pick-Up überzeugen, nachdem wir die aktive Hinterachs-Lenkung dazu geschaltet haben und nun in der Tat wie mit einem Smart im engen Parkhaus zwischen den Hütchen-Gassen hin und her wedeln. Ohne lästiges vor und zurücksetzen. ZF, das erfahren wir bei diesem Selbstversuch, integriert einen leistungsstarken elektrischen Antrieb direkt in eine innovative Hinterachse. Für den Vortrieb sorgt ein elektrisches Achsantriebssystem mit 150 kW Leistung. Das komplette Antriebssystem samt integrierter Leistungselektronik sitzt platzsparend in einem ZF-Hinterachs-Baukastensystem namens mSTARS (modular Semi-Trailing Arm Rear Suspension).

Dieses modulare Achssystem soll die Elektrifizierung von Serienfahrzeug-Plattformen besonders einfach und flexibel gestalten. So sei der Einsatz in Hybrid-, Brennstoffzellen- sowie batteriebetriebenen Fahrzeugen ebenso möglich wie die Kombination mit konventionellen Allradmodulen oder, wie in diesem Falle, der aktiven Hinterachslenkung, sagt Dr. Holger Klein, der Leiter der Division Pkw-Fahrwerktechnik.

Diese Station an einem ereignisreichen Theorie- und Praxistag in Sachen zukünftiger Sicherheitstechniken ist nur einer von vielen Einblicken in die Entwicklung von Protottypen und technischen Errungenschaften der Visionäre vom Bodensee. „Null Verkehrstote und null Emissionen sind möglich. Wir wollen Technologien entwickeln, um die Zahl der Verkehrsopfer möglichst schnell weiter abzusenken“, beschreibt ZF-Chef Stefan Sommer an diesem Tag die Vorgaben und Vorstellungen des Unternehmens.

„ZF“, das stand einmal für „Zahnradfabrik“. Aufbauend auf diesen Wurzeln, ist ZF Friedrichshafen auf dem Weg zur „Vision Zero“ längst viele Schritte weitergekommen. Auch im Bereich des autonomen Fahrens. Wir erleben an diesem Tag, entweder als interessierter Beobachter, oder als Pkw-Insasse, wie Autos ohne Zutun des Fahrers, selbsttätig um Hindernisse herum fahren, vor kreuzenden Radfahrern stoppen, Baustellen erkennen und dabei wie von Geisterhand die Spur wechseln. Das alles ohne Ruckeln und plötzliches versetzen, sondern komfortabel und kaum wahrnehmbar. ZF vernetzt und integriert dabei Sensorik, Assistenz- und Insassen-Schutzsysteme. Viele davon seien bereits auf einem Level, das den Einbau und die Kooperation in und mit bereits bestehenden Systemen erlaube.

Nur eines kann ZF (noch) nicht: Die Schwachstelle Mensch ausschalten. Zumindest nicht völlig. „Wir müssen den Menschen mit unseren technischen Errungenschaften unterstützen“, fordert Sommer deshalb und sieht das Haus auf einem guten Weg dorthin. Mit jede Menge Elektronik, mit Software-Updates und Weiterentwicklungen, mit der Vernetzung der beiden Welten. Und ein bisschen auch noch mit der Hilfe von Zahnrädern. Denn damit fing alles einmal an.

Text: Jürgen C. Braun

Fotos: ZF, Braun

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