Buchtipp – Lindgren: Niemals Gewalt

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Über den Frieden zu sprechen heißt ja über etwas sprechen, das es nicht gibt.

Es hatte so einfach ausgesehen: Eine der weltweit erfolgreichsten Kinderbuchautorinnen wird in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Entscheidung für Astrid Lindgren 1978 war eine Sensation. Einerseits: Sollte eine Märchentante die Richtige sein für einen solchen Preis? Andererseits: Man erwartete vielleicht von der ersten Kinderbuchatorin als Preisträgerin eine wohlfeile Dankesrede in ebenso gesetzten wie harmlosen Worten.

Der oben zitierte Satz macht klar, dass die vielleicht erwartete harmlose Dankesrede nicht zu erwarten war. Sie schickte sie vorab nach Frankfurt. Um als erste Rückmeldung gebeten zu werden, die Rede in dieser Form doch bitte nicht zu halten. Lindgrens Antwort war bar jeder Interpretation: Würde sie genau diese Rede nicht halten dürfen, werde sie zur Preisverleihung kurzfristig krank sein.

Sie hielt die Rede, und sie ist heute aktueller denn je. Frieden? Die täglichen Schlagzeilen kommunizieren etwas ganz anderes. Was aber tun, um nicht nur zu reden und zu klagen? Astrid Lindgrens Überzeugung war: Will man Frieden erwirken, muss man bei den Kindern beginnen.

In ihren Büchern hat sie genau das getan, und diese Neuauflage ihrer Rede von 1978 mit ergänzenden Kapiteln arbeitet exakt heraus, wie: Fest verwurzelt in der Tradition smaländischer Bauern, war es für sie eine Selbstverständlichkeit zu helfen, wo zu helfen war. Das tun auch ihre berühmten literarischen Figuren: Pippi Langstrumpf, das stärkste Mädchen der Welt, setzt seine Kraft nur ein, um Schwächeren zu helfen. Karlsson vom Dach, der rundliche Egoist mit Propeller auf dem Rücken, futtert, was das Zeug hält und ist von sich sehr angetan. Aber durch ihn entwickelt sein Freund Lillebror, von Natur aus klein und schmächtig, echtes Selbstbewusstsein. Rasmus, der Waisenjunge, der sich auf den Weg macht, eine Familie zu suchen, die ihn aufnimmt, findet diese lange, bevor es ihm bewusst wird. Und es sind eben nicht reiche – und als solche auftretende Erwachsene, solche also, die ihn im Kinderheim grundsätzlich ablehnten – sondern einfache Leute, die kaum Geld haben, aber vieles andere dafür umso mehr. Michel aus Lönneberga hat ein traumhaftes Talent zum Schabernack, was die Erwachsenen oft genug so gar nicht mögen. Aber als Alfred, Knecht auf Mariannelund und Michels großes Vorbild, lebensbedrohlich erkrankt, ist es Michel, der sein Leben rettet. Ohne groß nachzudenken, ob er es schafft und was er riskiert.

Auch mit den unschönen Seiten des Lebens hat Astrid Lindgren ihre Leserinnen und Leser konfrontiert: Dass zum Leben genau so der Tod gehört, ist ihr großes Thema in Die Brüder Löwenherz. Und Madita, die um keinen Strich verlegen ist, Tochter eines wohlhabenden Redakteurs, stellt ihre Freundschaft mit dem Nachbarsjungen Abbe nicht eine Sekunde in Frage. Dessen Vater ist dem Alkohol weitaus mehr zugetan als regelmäßiger Arbeit, aber dafür kann Abbe nichts. Punkt.

Es ist diese Klarheit, die hier – vielleicht mehr als in anderen Veröffentlichungen zu Astrid Lindgren – wunderbar zu erkennen ist. Nicht fehlen darf dabei ein Kapitel zu Lindgrens Zorn gegen die schwedischen Sozialdemokraten 1976: Ihnen wies sie mit dem Märchen Pomperipossa in Monismanien hemmungslose Gier und Volksverdummung nach – einer Partei, der sie bis dahin näher gestanden hatte als jeder anderen. Das trug zur Abwahl dieser Regierung maßgeblich bei. Auch das gehört zum Selbstverständnis einer Autorin, die wirklichen Frieden in der Welt nicht sah. Und doch fest daran glaubte, dass er möglich sein müsste. Man kann ergänzen: Wenn man das denn wirklich will.

Astrid Lindgren (Vowort: Dunja Hayali). Friedrich Oetinger Verlag; 5 Euro.

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