Buchtipp – Keun: Das Mädchen, mit dem die Kinder …

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Der Herr Kleinerz ist schon alt, mindestens vierzig Jahre – so ist das aus der Sicht eines Mädchens, das in die dritte Klasse geht. Und die Klassenlehrerin, Fräulein Knoll, mit Streichen regelmäßig zur Verzweiflung bringt. Man schreibt das Jahr 1918, und die Menschen wünschen sich in Deutschland nichts sehnlicher als – natürlich, Frieden. Und das kleine Mädchen, das die Erwachsenen einerseits oft genug seltsam findet, sich selbst allerlei Merkwürdigkeiten zu erklären versucht, die für die Großen ganz normal zu sein scheinen – dieses kleine Mädchen versucht, mit einem Brief an den Kaiser den ersehnten Frieden zu erreichen – sprich: herbeizubitten.

Leben im Krieg ist furchtbar, Mundraub (vereinfacht: Stehlen) gehört zum Alltag ebenso wie schwere körperliche Verletzungen, und alles, was in irgend einer Weise kriegstauglich zu sein scheint, wird auch dafür verwendet.

Das alles aus der Sicht eines kleinen Mädchens liest sich nicht harmloser als eine Erwachsenenschilderung, sondern auf eine ganz besondere Weise eindringlich. Denn viele naiv-direkten Schilderungen bringen Leserinnen und Leser zum Lachen, obwohl das Thema wahrhaftig nicht zum Lachen ist. Irmgard Keun, die dieses Buch 1936 als 31-jährige veröffentlicht hat, hält zwischen beidem exakt die Balance.

80 Jahre nach erstem Erscheinen gibt es Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften jetzt in einer Neuausgabe. Eine gute Gelegenheit, eine Schriftstellerin zu entdecken, der die verdiente Anerkennung fast lebenslang verwehrt blieb. Irmgard Keun selbst hat die erste große Wiederentdeckung ihres Werks um 1979 noch miterlebt. 1982 ist sie verstorben. Das alles scheint lange her, aber an der Aktualität dieses Buches gibt es keinen Zweifel.

Irmgard Keun: Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften. Kiepenheuer und Witsch Verlag; 16 Euro.

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