Buchtipp – Andersen: Astrid Lindgren

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Das hätte er wohl gerne gehabt: Die Märchentante habe da wohl etwas nicht richtig verstanden, argumentierte der damalige schwedische Finanzminister Gunnar Sträng sinngemäß. Das war 1976, und es ging um die in Schweden von den Sozialdemokraten eingeführte Marginalsteuer. In Astrid Lindgrens Rechenmodell betrug diese 102 Prozent vom Einkommen. Strängs Herablassung zahlte sich nicht aus, die Sozialdemokraten wurden abgewählt, und die vermeintliche Märchentante hatte einmal mehr gezeigt, was sie seit vielen Jahren wirklich war: Eine Person des öffentlichen Lebens, eine Autorität, von der weitaus mehr gefragt war, als das bloße Aufschreiben hübscher Geschichten.

Das ist wahrlich nicht neu. Was es aber für Astrid Lindgrens Alltag bedeutet haben mag, so wahrgenommen zu werden – davon zeichnet Jens Andersens Biographie wohl erstmals ein Bild. Dass die jugendlichen Leserinnen und Leser ihr brieflich Löcher in den Bauch fragten – klar. Dass sie aber in fast unvorstellbarem Ausmaß um Unterstützung gebeten wurde, oft genug auch finanziell – das verblüfft beim Lesen dann schon sehr. Manchmal entwickelten sich längere Briefwechsel, und dann machte Lindgren auch durchaus klar, wenn ihr eine Haltung des Briefpartners oder der -partnerin nicht behagte. Wie viel Zeit und Arbeit das bedeutete, wird ansatzweise klar, wenn Andersen von ganzen Säcken an Post schrieb, die zeitweise in Lindgrens Wohnung zu tragen waren.

Ihre Rede Niemals Gewalt beim Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1978 ist längst ein Dokument für die Ewigkeit – das ist nicht übertrieben. Diese Rede fasst gleichsam zusammen, warum Astrid Lindgren so wahrgenommen wurde – und in welchem Ausmaß. So erweitert Biograph Andersen das Bild der weltberühmten Autorin – die man doch mittlerweile gut zu kennen glaubte – um viele Facetten.

Gezeigt hat sie die Anstrengung, die mit ihrer Popularität verbunden war, ihren Kommunikationspartnern sicherlich nie. Empfunden haben muss Astrid Lindgren sie sehr wohl: Zum Schreiben, und nicht nur da, schätzte sie durchaus die Einsamkeit. Und auf genügend Zeit für ihre nicht eben kleine Familie achtete sie ebenfalls.

Jens Andersen: Astrid Lindgren. Ihr Leben. Deutsche Verlags-Anstalt; 19,90 Euro.

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