Rückrufaktionen: Über Gründe, Folgen, Konsequenzen

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Das nervt einfach. Wir fahren in der Familie und in unserem Betrieb fast ausschließlich US-amerikanische Pkw, weil unser Hauptkundenstamm aus den USA kommt. Und seit zwei Jahren dieses Elend: Alle paar Wochen muss eines unserer Fahrzeuge dank einer Rückrufaktion in die Werkstatt. So ein deutscher Unternehmer aus dem mittelständischen Bereich. In der Tat: Alleine in den USA wurden 2014 63 (!) Millionen Fahrzeuge außerhalb der normalen Inspektionen und Werkstattaufenthalte zusätzlich in die Werkstätten zurückgepfiffen, weil sicherheitsrelevante Teile oder Systeme ihren Dienst vorzeitig und überraschend eingestellt haben. Zwangsläufig sind auch europäische Kunden von US-Herstellern betroffen. Wie bekannt wurde, hat man sogar Defekte jahrelang verschwiegen, quasi intern unter den Teppich gekehrt, obwohl die Geschäftsleitung davon wusste. Auch hierzulande trifft es Automobilhersteller, wobei besonders befremdlich scheint, dass ausgerechnet Produkte der sogenannten Premium-Hersteller davon betroffen sind. Hakelnde Gurtschlösser, Funken schlagende Tankstutzen mit unzureichender Erdung (Minus-Polung), klemmende Pedale gehören heute fast schon zum Negativ-Potential auch in der Oberklasse. Airbags, die sich unangemeldet und plötzlich entfalten, inmitten der Fahrt, erschrecken Fahrer und Beifahrer, andere gehen im Falle des Crashs erstmal gar nicht auf. Es wird langsam schwierig für die globale Automobilindustrie, dem Endkunden den Begriff Qualität plausibel zu erklären und damit zu argumentieren.

Fröhliche Urständ, aber auch bei nicht immer lebensnotwendigen Komponenten und Teilen: undichte Fenster- und Türdichtungen, schlecht eingepasste Fußmatten, Multifunktionsschalter, die von 6 Funktionen nur 3 bis 4 bedienen, Module digitaler Zeituhren, die schon nach 3 Tagen Phantasiezeiten anzeigen. Die Negativ-Liste lässt sich locker um ein Vielfaches erweitern.

Die Autohersteller sind schnell dabei, Schuldzuweisungen an die Zulieferer weiterzureichen. Die kontern mit den Argumenten zu kurze Entwicklungszeiten, zu geringe Budgets für Forschung und Entwicklung und keine Preisspanne mehr beim Gewinn. Mag ja richtig sein, aber jedes Automobilwerk hat sein Qualitätsmanagement, das auch und vor allem die Produkte der Zulieferer zu prüfen hat. Ob es da nur an einheitlichen Prüfmustern fehlt? Die Automobilindustrie hält dem entgegen, dass sie mit der dauerhaften Qualitätsüberprüfung der eigenen Produkte schon genug zu tun habe. Kurzum: Keiner will sich den Schuh der mangelhaften Qualität anziehen. Aber: Ein weiter so geht auch nicht. Christian Reitmeyer vom Dienstleister für Qualitätssicherung und -Management re-di-Group mahnt daher an, das Produkt, dessen Anforderungen an den Lieferanten und die komplette Unterlieferantenkette gesamtheitlich zu betrachten. Minimale Fehler in der Prozesskette könnten das Uhrwerk zum Stehen bringen. Der Begriff Qualität müsse daher aus seiner Sicht als fortwährender und kontinuierlicher Prozess realisiert werden. Doch wie sollen diese Ziele ab 2015 erreicht werden? Zumal auch ein Preiskampf von klein bis groß unter den Produkten ausgefochten wird. Von einem Nettogewinn in Höhe von knapp über 20 Euro pro Fahrzeug spricht so mancher Hersteller. Da können ja etliche Parameter im kaufmännischen Bereich einfach nicht stimmen. Als Hauptverursacher für das Dilemma wurden Elektrik und Elektronik gefunden, was Automobilclubs wie Werkstätten glaubhaft bezeugen. Über 50 % der Pannen gehen auf das Konto dieser Komponenten. Und eine Trendwende ist derzeit nicht in Sicht, so Rainer Meyer, Leiter der Lieferantenentwicklung bei der re-di-Group. Wie also diesen Pannen und Ausfällen beikommen? Wie aus einer aktuellen Studie des CAM (Center of Automotive Management) zu entnehmen ist, zählen zu den strukturellen Ursachen auch die steigende technische Komplexität der Fahrzeuge, die Zunahme der Entwicklungsgeschwindigkeit aufgrund steigender Wettbewerbsintensität, die Wertschöpfungsverlagerung und die Globalisierung der Entwicklung und Produktion. Auch das immer mehr verbreitete Setzen auf Baukasten- und Gleichteile-Strategie wird als Mit-Verursacher ausgemacht. Andererseits ist das Publizieren größerer Rückrufaktionen so manchem Automobilhersteller bereits kräftig in die Glieder gefahren, was sich meist auch im Kaufverhalten der Kunden bestätigt. Vielleicht führt dieser Prozess dann auch zu mehr Sorgfalt und Qualitätsstruktur bei den Endprodukten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Text: Frank Nüssel/CineMot
Quelle: Automobil Produktion 1/2-2015
Fotos (Beispielbilder): KÜS, @Martin Debus – fotolia.com; @Composer – fotolia.com; @April_89 – fotolia – com.

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