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Nicht in bella Italia, sondern in der weltoffenen Schweiz feierte der Fiat 600 (Seicento) vor 60 Jahren seine internationale Publikumspremiere. Mit dem Debüt auf dem Genfer Salon wollten die Turiner ein unübersehbares Zeichen setzen: Hier kommt ein kleiner Welteroberer, wie es so noch keinen gegeben hat. Als erster Fiat mit Heckmotor-Layout, wegweisender Einzelradaufhängung rundum, relativ flotten Fahrleistungen des sparsamen 14 kW/19 PS-Vierzylinder-Benziners und ausreichend Platz für vier Erwachsene. Der Fiat 600 war aber noch für andere Überraschungen gut: So war die damals noch neuartige selbsttragende Karosserie so robust, dass sich der Fiat 600 auch als verführerischer Luftikus mit Sonnen-Faltdach vorstellte.

Gekleidet war der 3,22 Meter kurze Zweitürer in jedem Fall in eine gefällige, fast schon niedliche Form, die über drei Jahrzehnte lang Kleinwagen-Käufer begeisterte. Überdies war der Seicento direkter Herold für Fiats allerkleinsten Hero, den zwei Jahre später lancierten Fiat 500, alias Cinquecento. Dieser winzige italienische Sympathieträger adaptierte das Antriebs- und Designkonzept des Fiat 600, packte es in noch kompaktere Form und machte sich so unsterblich. Andererseits gelang dem Fiat 600, was seinem noch kleineren Bruder 500 verwehrt blieb: Der „Seicento“ wurde zur ersten automobilen Amore für über fünf Millionen Menschen, vor allem in West- und Osteuropa sowie in Südamerika. Eine Karriere von der fantasievolle Kosenamen künden, wie Fitito (Argentinien), Fico (früheres Jugoslawien), Pelotilla (Spanien) oder Micro-Miracle (Australien).

Beliebt war der Kleine aber auch wegen der vielfältigen Karosserievarianten, in denen er von Fiat oder italienischen Karossiers inszeniert wurde. Gab es zunächst nur den Zweitürer mit anfangs vorn angeschlagenen Türen, folgte bereits ein Jahr später der geniale Fiat Multipla. Als früher Vorläufer heutiger Microvans präsentierte sich der Multipla alternativ als Vier- bis Fünfsitzer und als variabler Sechssitzer, der bei umgelegten hinteren Sitzreihen bis zu 1,75 qm Laderaum bot. Besonders als Taxi fand der Multipla viele Fans, für den Geschmack traditioneller Limousinen- und Kombikäufer fuhr der außergewöhnlich geformte Van dagegen bisweilen seiner Zeit zu weit voraus.

Damit nicht genug des Variantenreichtums, zu denen auch viertürige Seat und Transporter zählten. Wie groß die Bandbreite auf der Basis von gerade einmal zwei Meter Radstand war, führte der Fiat 600 vor allem mit den Markenlogos italienischer Designer und Carrozzeria vor. Sei es durch Carlo Abarth, der den süßen Sympathieträger zum giftigen Rundstreckenracer aufrüstete, in dem er die Motorleistung bis auf das Vierfache steigerte oder für seine Kraftzwerge Coupékarosserien von Zagato kreieren ließ (etwa Abarth Derivazione 750).

Nicht zu vergessen das Kuriositätenkabinett von Viotti und Pininfarina, das kleine Chromkreuzer-Coupés oder Limousinen mit konvex geformten Heckfenstern umfasste. Sogar ein früherer Viertürer ohne B-Säule mit halbhohen Fondportalen war dabei. Geradezu aufregend schön waren wiederum die Barchetta-Sportwagen von der Carrozzeria Allemano und die offenen Frua-Zweisitzer. Dagegen ließ Vignale die Wahl zwischen zweisitzigem Spider und formvollendetem Coupé. Später ergänzten Ghia und Savio mit zwei sonnigen Lifestyle-Strandwagen diesen Strauß bunter Blüten. Während der Fiat 600 als Strandauto Ghia Jolly in Kleinstserie sogar in die USA verkauft wurde, konnte die Carrozzeria Savio bis Mitte der 1970er Jahre angeblich über 3.000 Einheiten ihres „Jungla“ ausliefern.

Wichtig für Fiat waren dagegen allein die Stückzahlen der regulären 600-Limousine. Deshalb zählte der Fiat 600 von Anfang an zu den billigsten Massen-Automobilen auf dem Markt. Bei seiner Einführung war er sogar noch billiger als der allererste italienische Volkswagen, der Fiat 500 Topolino. Dieser Kostenvorteil zählte allerdings auch zu den wenigen Vorgaben, die Fiats erfolgsverwöhnter Präsident Vittorio Valletta seinem legendären Entwicklungschef Dante Giacosa für das künftige „auto per tutti“ (Auto für alle) mit auf den Weg gab. Vier Plätze, 85 km/h Spitze und ein Preis von 450.000 Lire waren die drei entscheidenden Maßgaben, nach denen der Fiat 600 ab 1951 konstruiert wurde. Mehr Platz zu günstigeren Preisen als beim Topolino also, der als finaler 500 C im Jahr 1949 für 625.000 Lire vertrieben wurde. Auch für die Formen des neuen Winzling zeichnete Giacosa verantwortlich, der gerade mit neuen Designbüros ausgestattet worden war. Tatsächlich gelang Giacosa mit dem Fiat 600 ein Geniestreich, wie er nur in jener Ära möglich war als Designer und Entwickler noch fast freie Hand hatten.

So wie Alec Issigonis damals für den Morris Minor ein neues, aber typisch englisches Konzept erfand, Flaminio Bertone dem französischen Automobilbau mit dem legendären Citroën DS ein Denkmal setzte, verkörperte der Fiat 600 – und wenig später auch der Fiat 500 – italienische Lebensart in Reinform. Zeitlos schön, liebenswert und doch vernünftig bis ins Detail waren Dante Giacosas Konstruktionen. So erklären sich auch die in zeitgenössischen Testberichten hochgelobten Fahreigenschaften des Fiat 600. Spendierte Giacosa ihm doch eine aufwändige Einzelradaufhängung statt der verbreiteten preiswerten Pendelachse. Ungewöhnlich für ein Heckmotorauto war auch die Heizung via Ventilator, der warme Luft aus dem Motorraum in die Kabine schaufelte.

Gar nicht zu reden von den damals formidablen Fahrleistungen des gerade einmal 585 Kilogramm wiegenden Fliegengewichts. 100 km/h Vmax bei 5 bis 5,5 Liter Verbrauch versprach Fiat zum Marktstart in Deutschland, womit der Fiat 600 kaum langsamer, aber deutlich sparsamer als der größere VW Käfer war. Ein verführerisches italienisches Volksauto-Package, das rasch auch andere Märkte motorisieren sollte. Während in Deutschland der in Heilbronn montierte NSU-Fiat Jagst 600/770 bis 1969 für Furore sorgte, war es in Spanien der Seat 600, der das Volk mobil machte. Nicht einmal vier bis fünf Jahre lange Lieferzeiten konnten die Bestelleingänge für den ab 1970 unter Fiat-Logo auch in Deutschland angebotenen Seat bremsen. In jenem Jahr gelang dem mittlerweile betagten Südeuropäer ein Überraschungscoup im hohen Norden: In Finnland eroberte der wintertaugliche Heckmotorzwerg den ersten Platz der Zulassungsstatistik. Eine Position, die der kleine Seat bis zum Produktionsende im August 1973 hielt. Die Nummer eins war der Fiat über Jahrzehnte auch in Südosteuropa, denn im damals jugoslawischen Kragujevac liefen bis 1986 über 900.000 Zastava-Lizenzbauten vom Band. Schließlich zählte der Kleinwagen bis in die 1980er Jahre in Südamerika zu den automobilen Volkshelden, die Argentinien, Kolumbien oder Chile auf die Räder brachten.

In Europa setzte Fiat seinem rundlich geformten Bestseller ein spätes Denkmal durch den 1998 eingeführten Kleinstwagen Seicento, der ab 2005, anlässlich des 50. Geburtstag seines Ahnherren mit dem Modelllabel 600 ausgeliefert wurde.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nicke
Fotos: Fiat

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