Audi-Historie: 50 Jahre Nachkriegs-Modelle

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Längst sind sie erbitterte Kontrahenten beim Kampf um die Krone der Premiumklasse. Kaum ein Käufer der Marken mit dem Stern und den vier Ringen erinnert sich aber noch, dass es einst Mercedes-Kraft war, die Audi in die Mittelklasse katapultierte. Tatsächlich war Audi vor 50 Jahren so stolz auf den Stuttgarter Viertakt-Vierzylinder in seinen Fonttrieblern der Typenfamilie 60 bis Super 90, dass die Ingolstädter in ganzseitigen Anzeigen verkündeten: „Der Audi hat einen Mitteldruckmotor wie kein anderes Automobil. Ungewöhnlich, weil er höher verdichtet ist als alle anderen vergleichbaren Viertaktmotoren. Und ungewöhnlich auch seiner Eltern wegen. Entwickelt hat ihn Mercedes-Benz. Die Auto Union baut ihn.“

Sensationell war aber eigentlich weniger die Herkunft des Motors, als vielmehr seine Fähigkeit, einen vormaligen Flop zum Topseller zu transformieren. Basierte der erste Audi der Nachkriegsära doch auf der letzten DKW-Limousine mit Zweitaktmotor, dem 1963 vorgestellten Typ F 102. Mit diesem von der Zeit überholten Zweitakter schien die Auto Union damals ihrem Untergang entgegen zu rasen, nicht einmal massive Preissenkungen konnten den Absturz der Verkaufszahlen bremsen. Rasches Handeln war also angesagt, als der Volkswagen-Konzern 1965 die Federführung bei der Auto Union AG übernahm, die zuvor sechs Jahre lang ein Tochterunternehmen von Mercedes-Benz gewesen war. Der vollkommen neue, von Mercedes konstruierte Viertakt-Vierzylinder stand für den Einsatz im DKW F 102 schon bereit, Volkswagen änderte noch den Namen in Audi (vorläufig ohne Typenziffer) und fertig war ein Auto, das nach und nach den Ruf eines Volks-Mercedes gewann. Als die Audi 60 bis Super 90 im Jahr 1972 ihrem Nachfolger Platz machten, waren immerhin fast 420.000 Einheiten von den Bändern gerollt – und Audi zählte zu den Messlatten in der Mittelklasse.

Die Industrie rief das Jahr 1965 zum wirtschaftlichen „Boom-Jahr“ aus und tatsächlich schien das Nachkriegs-Wirtschaftswunder einen endgültigen Höhepunkt zu erreichen mit einer Ausweitung der industriellen Fertigungskapazitäten. Nur die Auto Union AG stürzte mit ihrer DKW-Zweitakt-Flotte in ein tiefes Tal, aus dem ein Entrinnen kaum mehr möglich schien. Selbst von ihrem jüngsten Modell, dem DKW F 102, verkauften die Ingolstädter in drei Monaten gerade einmal die Stückzahlen, die Volkswagen an einem einzigen Arbeitstag auslieferte. Überkapazitäten in Ingolstadt, zu wenig Produktionskapazität in Wolfsburg, das war zwar nicht der eigentliche Grund, weshalb Volkswagen die Auto Union AG zum 1. Januar 1965 übernahm. Aber immerhin: Unter der Ägide des neuen von VW entsandten Auto-Union-Hauptgeschäftsführers Rudolf Leiding (als VW-Boss brachte er später den Golf auf die Bahn) sorgte nun eine Käfer-Produktion für Profitabilität im Werk Ingolstadt. Schlecht sah es dafür mit der Arbeitsmoral aus, hier fegte Leiding mit Orkangewalt jeglichen Schlendrian aus den Werkshallen. Nicht nur, dass der DKW F 102 in Rekordzeit zum ersten neuen Audi seit 1939 weiterentwickelt wurde, der Audi-Chef führte auch Qualitätsprinzipien ein, die an japanische Unternehmen erinnerten. Und die den neuen Audi (interner Code F 103) zum Qualitätsmaßstab in der bürgerlichen Mittelklasse machten, wie die Fachpresse alsbald bestätigte.

Daran änderten auch Korrosionsprobleme nichts, die so manchen Fahrer der F-103-Typenfamilie bereits nach zwei Jahren mit durchrosteten Kotflügeln konfrontierten. Plagten solche Schwierigkeiten damals doch fast alle Fabrikate, die meisten sogar weit mehr als Audi. Zudem konnte Leiding die Audi-Werker motivieren, Enthusiasmus für ihre Arbeit zu entfalten. Dazu zählten damals bereits Tugenden wie Pünktlichkeit (am Tag von Leidings Amtsantritt erschienen rund 300 Mitarbeiter mit Verspätung am Arbeitsplatz, zwei Tage danach waren alle pünktlich), der Verzicht auf Freizeitaktivitäten am Fließband wie ausdauernde Zeitungslektüre und die Begeisterung für Fortbildungen im Werk Wolfsburg.

Qualitätsmaßnahmen, die auch finanziell fruchteten. Nach nur einem Jahr konnten die Fertigungszeiten des Audi um ein Drittel reduziert werden. Zwei Jahre später – inzwischen gab es neben dem ersten, 53 kW/72 PS leistenden Audi ohne Typenziffer auch die Versionen Audi 80 und Super 90 – erwirtschafteten die Ingolstädter wieder einen Gewinn. Ab 1968 mussten in Ingolstadt sogar Sonderschichten gefahren werden, so erfolgreich war der in diesem Jahr eingeführte Basistyp Audi 60.

Fast war es ein Wunder: Der DKW F 102 war mit seinem Zweitaktmotor und Kinderkrankheiten in eine Sackgasse gefahren und die Audi-Typen 60 bis Super 90 fanden den Ausgang. Zwar mit modernem Viertaktmotor, aber im gleichen Karosseriekleid, das sich vor allem durch eine anderes Frontdesign differenzierte. Den Rest erledigte eine kuriose Marketingkampagne. Mit dem nur für Lateiner verständlichen, fast schon irren Slogan „Compressorius medii ordinis motor quaternis ictibus vehiculum propellit“ wies Audi auf den Antrieb durch Viertakt-Mitteldruckmotor in den Stufenhecklimousinen und Kombis hin. Eigentlich aber ging es Audi darum, sich öffentlich ins Gespräch zu bringen.

Bundesweit verschickte Werbebriefe erledigten den Rest: Die ganze Republik sprach über den neuen Herausforderer von Opel Rekord, Ford 17 M und VW 1600, der in Testberichten hoch gelobt wurde. Zudem vermittelte er mit seinem sparsamen, weil hochverdichteten Mitteldruckmotor kurzzeitig den Eindruck von Avantgarde, vergleichbar dem gleichfalls neuen, jedoch trinkfreudigen Wankelmotor. Der Frontantrieb war zwar bereits aus DKW-Tagen bekannt, präsentierte den 4,38 Meter langen Audi nun aber theoretisch sogar als Alternative zu den futuristisch wirkenden Franzosen Renault 16 und Citroën ID/DS. Auch wenn in Deutschland kaum ein frankophiler Käufer ernsthaft über den Erwerb des Bayern nachgedacht haben wird, konnte es der Audi in seiner schärfsten Ausführung als Super 90 ab 1966 sogar mit Sportlimousinen aufnehmen. Super 90, so hieß bereits eine legendäre Version des Porsche 356 und wie zuvor der Zuffenhausener zeigte nun der 66 kW/90 PS starke Audi dem Wettbewerb den Auspuff.

Gleich ob Glas 1700, BMW 1800 oder der hubraumstärkere Mercedes-Benz 200, mit 163 km/h Spitze fuhr der Audi Super 90 vorweg. Noch auf der IAA 1967 ließ es sich Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller nicht nehmen, den chromgeschmückten Tempoprimus durch einen Ortstermin ebenso zu würdigen wie die als Weltwunder bezeichnete erste Wankellimousine NSU Ro 80. Die meisten Audi-Käufer entschieden sich zwar ab 1968 für den neuen Basistyp Audi 60 mit bescheidenen 40 kW/55 PS, aber der Super 90 vermochte es, die Ingolstädter zum Sprung über den Atlantik zu inspirieren. Vor allem junge Amerikaner und VW-Aufsteiger waren begeistert, zumal es den Super 90 exklusiv für die USA auch als Variant gab. Hierzulande erhielt der Super 90 ab 1969 hauseigene Konkurrenz: Das neu eingeführte Flaggschiff Audi 100 nutzte zunächst die Motoren der F-103-Baureihe und war kaum kostspieliger.

Dennoch setzte die Typenfamilie aus Audi 60 bis Super 90 noch im letzten kompletten Modelljahr neue Bestwerte bei den Verkaufszahlen. Da drehten die Prototypen des 1972 startenden Nachfolgers Audi 80 bereits ihre finalen Testrunden.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Hersteller/SP-X

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